On Canvas I
Intro
André Nendza Euphorie in der Pandemie
Wie heißt es so schön: Gegensätze ziehen sich an. Durchaus ein
Überlebensreflex in einer Zeit, in der sich die deutsche Jazzszene in immer
feinere Keimzellen aufsplittert. Und wieder obliegt es einem Bassisten, als
Amalgam zwischen den Polen zu fungieren. André Nendza begann im Herbst
2018 „in einem mühelosen Inspirationsfluss” (O-Ton) damit, neues Material zu
komponieren. Nachdem sich der 52-Jährige in den zurückliegenden Jahren eher
mit poplastigem Songwriting beschäftigt hatte, sorgte die vererbte
Vinylsammlung eines Freundes mit alten Platten aus den späten 1950er- und
frühen 1960er-Jahren für eine Wiederbelebung verschütteter Reflexe. „Auf
diesen Alben konnten damalige Avantgardisten scheinbar mühelos mit
Altmeistern zusammenspielen und dennoch klar und deutlich mit ihren
jeweiligen Stimmen sprechen", erzählt Nendza begeistert. Gleichzeitig tauchte
bei ihm die Frage auf, ob die neuen Stücke, die auf Formen und Changes
bekannter Standards basierten, möglicherweise eine Leinwand sein könnten, um
eine solche Gleichheit der Waffen auch in der Gegenwart zu gewährleisten.
Die Losung hieß natürlich „Jazz-Jazz", also die klassische Spielhaltung, die sich
aus Spaß, rhythmischer Intensität (sprich: Swing) und harmonischen Finessen
nährt. Keiner der Partner zierte sich, weder Altsaxofonistin Angelika Niescier
(die wie eine wahnwitzige Kreuzung aus Art Pepper, Jackie McLean und
Cannonball Adderley klingt) noch Pianist Martin Sasse, Flügelhornist Martin
Bergmann oder Drummer Niklas Walter. Alte Weggefährten und neue
Begegnungen. Der Bassist war glücklich, doch Corona machte der geplanten
Live-Aufnahme im Kölner Loft einen Strich durch die Rechnung. Irgendwann
entschloss sich die Band dann, ihren „guten Flow” in einem der inzwischen
leider zum gängigen Standard gewordenen Streaming-Konzerte für „On Canvas”
(Jazzsick/Membran) zu dokumentieren - in einem leeren Saal und ohne direkte
Publikumsreaktionen. Am Schluss kam aber doch Feedback in Form von Mails
und Telefonanrufen. Nendza: „Und jemand hatte sogar ,Zugabe' auf den
Anrufbeantworter des Lofts gerufen!" Alles fast wieder wie früher.
Text Reinhard Köchl
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