Hodgepodge Vol. II
INGA LÜHNING & ANDRÉ NENDZA // DIE SONGS KOMMEN ZU UNS
von Torsten Gränzer in SCHALL
Es ist ein ungewöhnliches Duo, das auf seinem zweiten gemeinsamen Album
„Hodgepodge Vol.2“ in eine Welt wundervoller klanglicher Bilder entführt.
Sängerin Inga Lühning und Bassist André Nendza lassen zusammen eine Band
nicht vermissen, sie ersetzen sie vollwertig. Dabei arbeiten sie sowohl mit
gesanglichen als auch mit rhythmischen Loops, kreieren und samplen
stimmliche und körperliche Perkussionen, spielen Kontra-und E-Bass im
Wechsel, setzen eine Bass-Schlitztrommel ein und schaffen einerseits intimste,
minimalistische Momente, andererseits aber auch an Opulenz grenzende
Soundkreationen, die sich Ausbrüche gestatten, ohne dabei den roten Faden zu
verlieren. Dabei lässt das vom leidenschaftlichen Toningenieur Christian Heck
geschaffene detailliert räumliche Klangerlebnis tief in sich eintauchen.
Viele der Titel waren mittels von Inga betriebener Loop-Station im Vorfeld schon
live gespielt worden, bevor sie ins Studio gingen. Trotz des switchens zwischen
englischer und deutscher Sprache, zwischen eigenen und Coversongs und den
unterschiedlichen Genre Vorlagen der bearbeiteten Originalstücke, bleibt das
homogene Gesamtbild erhalten. Inga: „Die Songs kommen zu uns. Wir setzen
uns nicht zusammen und schauen, was in Frage kommt. Das BAP-Cover ,Du
kannst zaubern' sang ich auf der Hochzeit einer Freundin. Ich habe mich damit
unwohl gefühlt, es auf Kölsch zu tun. Auf hochdeutsch funktioniert es. Auch mit
den Degenhardt-Stücken des ersten Albums habe ich mich am Anfang schwer
getan. Das ist hartes, sperriges Zeug, aber mit jedem Mal machte es mehr
Spaß, mich ins Zeug zu legen und es überzeugend zu singen. Ausgerechnet ich,
die es anfangs nicht gut fand, wollte nun auf diesem Album wieder einen
Degenhardt-Song ... André dazu: „Degenhardt ist Bestandteil meiner Kindheit.
Mein Vater war großer Fan. Das hat auch mich begeistert. Und gleichzeitig gibt
es durch meine Mutter Black Music- Einflüsse.“
Zur Musik brachte ihn auch ein leider jung verstorbener Onkel, dem André das
getragen balladeske, sich durch Minimalismus auszeichnende und von großem
Gefühl lebende Stück „Until“ widmet: „Er war eine sehr wichtige Person für
mich. Durch ihn habe ich die Idee bekommen, als erster in der Familie Musiker
zu werden. Bei mir war das nicht das klassische Bildungsbürgerding „Kind lernt
Cello mit drei”. Mein Onkel war mit seiner Band im New Wave und Punk
unterwegs. Durch die Punkhaltung ,Einfach mal machen! hat er auch mir die
Lizenz gegeben, auch wenn sich das dann ganz woanders hin entwickelt hat“.
Der preisgekrönte studierte Musiker und gefragte Sideman, dessen Bassspiel
heute auf über 70 Tonträgern (davon 14 unter eigenem Namen) und in diversen
Rundfunk- und TV-Mitschnitten verewigt worden ist, hatte schließlich im Jahr
2016 die Idee, wieder in einer kleineren Formation unterwegs zu sein: „Eine
Kombination aus Gesang und Bass fand ich reizvoll. Ich hatte eine imaginäre
Liste von Sängerinnen und auf der stand Inga auf Platz eins. Sie hat
dankenswerterweise Ja gesagt.“ Damit gewann er für das Projekt eine der
erfolgreichsten Sängerinnen Deutschlands, die musikalische Welten von Jazz
und Pop mit ihrem intensiven Ausdruck vereint. Zwei Alben hat Inga Lühning
bisher unter eigenem Namen veröffentlicht. Sie tourte jahrelang mit der
erfolgreichen Nu Jazz Band re:jazz durch Europa und Asien, war als
Backgroundsängerin mit den Fantastischen Vier unterwegs und ist eine gefragte
Sängerin für Studio- und Fernsehproduktionen. „Die Zeit, in der meine Kinder
geboren wurden, hat mich gefordert und ich bin erst einmal ausgestiegen. 2016
war mein Sohn fünf und meine Tochter drei. Ich wollte in überschaubarem
Rahmen wieder loslegen, da kam Andrés Anruf gerade recht. Die spartanische
Besetzung fand ich reizvoll. Nach den ersten Proben war klar, dass wir auf einer
Wellenlänge sind.“ André: „Ich habe selbst eine Tochter. Mit Kindern lernt man
Situationen anders zu betrachten und Rücksicht zu nehmen. Wenn Inga eine
Probe wegen Durchfallalarm absagen musste, dann war das okay. Als Student
hätte ich noch die totale Sinnkrise gekriegt und gedacht, meine Karriere wäre
jetzt zu Ende... Wir hatten als kleines Ziel, erst einmal in meinem Dorf auf dem
Kulturfest zu spielen, das hat ganz gut geklappt.“
So gut, dass im Anschluss viele Konzerte in Wohnzimmern, Kirchen und Sälen
bis hin zum Bonner Jazzfest folgten.
Neben Andrés stehen auch Ingas Songs im Repertoire, wie das im Angesicht der
Weltlage von der Seele geschriebene „Healing“ oder „Nice Little Sleep“, mit sehr
entspanntem Laid Back-Gesang: „Das ist eine Ode an den Schlaf, oder ein Blues
für all die Leute, die zu wenig davon bekommen. Ein Teil von mir schämt sich
ein wenig, wenn ich sage, dass dies der erste Song ist, den ich indirekt über
meine Kinder geschrieben habe. Das eine schlief nachts noch nicht, das andere
am Tag nicht mehr. Das war eine harte Zeit. In diesem Song rechne ich mit
einem Augenzwinkern damit ab.“ Es findet sich überhaupt viel persönlicher
Ausdruck auf „Hodgepodge Vol.2“. Das funkig-soulige „Actually, Actually“
schrieb André für seine Frau, mit der er das Glück hat, seit dem 18. Lebensjahr
zusammen zu sein.
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